Jedes Jahr im April feiert das DAI Rom mit einem Festvortrag und vielen Gästen seine Gründung. Was macht es in Zeiten der Corona-Krise? Ein Interview mit dem Leitenden Direktor Prof. Dr. Ortwin Dally.
Herr Professor Dally, was bedeutet eigentlich „Adunanz“?
Der italienische Begriff „adunanza“ bezeichnet eine öffentliche Versammlung. Die ersten Veranstaltungen liefen unter der Überschrift „speciali conferenze di archeologico rapporto“: Auch an der späteren Abteilung Rom des DAI wurde der Begriff sowohl in seiner italienischen als auch in seiner eingedeutschten Form „Adunanz“ weiterhin genutzt, und das ist bis heute so geblieben.
Und wer oder was sind „Palilien“?
Mit der Palilienadunanz erinnert das Institut alljährlich an die Gründung des Instituto di Corrispondenza Archeologica als Vorgänger des späteren Deutschen Archäologischen Instituts am 21. April 1829.
Seit wann gibt es die Palilienadunanz am römischen Institut?
Die erste Adunanz wurde 1831 im Palazzo Caffarelli auf der Südhälfte des Kapitols veranstaltet. Dort war das Institut am 21. April 1829 gegründet worden. Da es bis 1836 kein eigenständiges Gebäude hatte, fanden die ersten wissenschaftlichen Veranstaltungen zunächst dort statt; die ersten Räumlichkeiten hatte der Institutsmitbegründer und seinerzeitige Generalsekretär des Instituts Christian Karl Josias von Bunsen (1791-1860), zugleich Botschafter Preussens beim Heiligen Stuhl, dem frisch gegründeten Instituto di Corrispondenza Archeologica an seinem seinerzeitigen Amtssitz zur Verfügung gestellt. Bunsen war es auch, der seinerzeit im Dezember 1831 die erste Adunanz eröffnete.
Feiert das DAI Rom am selben Tag wie die Stadt Rom?
Der Gründungstag des Instituto di Corrispondenza Archeologica am 21. April 1829 war von den Gründungsvätern bewußt gewählt, wurde er doch an dem Tag vollzogen, an dem laut Livius Romulus die Stadt gegründet haben soll, zugleich ein Tag, der im historischen Gedächtnis der Stadt Rom als Gründungstag Roms schon in der Antike fest verwurzelt war: Der augusteische Dichter Ovid singt in seinen Fasti von dem Hirtenfest der Palilia, das an demselben Tag begangen wurde, später als Dies Natalis gefeiert wurde und in Gestalt der von dem Humanisten Julius Pomponius Laetus, Begründer der Accademia Romana, 1464 ins Leben gerufenen Palilia eine alljährliche Renaissance erlebt hatte. Auch heute noch wird der Stadtgeburtstag Roms an diesem Tag begangen. Daran erinnert dieser akademische Feiertag, den das Institut bis heute alljährlich begeht. Im Übrigen ist die Abteilung Rom des Deutschen Archäologischen Instituts damit die einzige Zweiganstalt des DAI, die alljährlich zwei akademische Feiertage begeht, nämlich neben den Palilien das Winckelmannsfest um den 9. Dezember, dem Geburtstag Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768), herum; seine Werke, vor allem die „Geschichte der Kunst des Altertums“, waren für die Begründer des Instituts eine entscheidende Quelle der Inspiration gewesen. Die Adunanzen seinerzeit fanden zunächst anders als heute vor allem in den Wintermonaten statt, wobei die Winckelmann- und die Palilienadunanz jeweils Anfang und Ende eines Vortragszyklus markierten.
Wie wird eine Palilienadunanz am DAI Rom begangen? Gibt es Unterschiede zwischen damals und heute – was hat sich verändert?
Will man sich einen Eindruck von der Atmosphäre der Adunanzen im 19. Jahrhundert verschaffen, lohnt sich ein Blick in die Berichte zu den Adunanzen in dem jährlich in Faszikeln verlegten Bullettino dell‘Instituto di Corrispondenza Archeologica bzw. dem Bullettino degli Annali dell‘Instituto di Corrispondenza Archeologica, das zu den ebenfalls jährlich verlegten Annali, den Monumenti inediti sowie den allerdings nur zweimal erschienen (1832 und 1865) Memorie dell’Instituto di Corrispondenza Archeologica hinzu kam, bzw. in die von Adolf Michaelis verfasste Geschichte des Deutschen Archäologischen Instituts 1829-1879 als Festschrift zum 50sten Geburtstag des Instituts zu werfen (S. 40 f.): „Etwa um die gleiche Zeit [= in den 1830er Jahren] fand in den Einrichtungen des Instituts eine Aenderung statt, welche für das ganze Auftreten desselben nach aussen bedeutend werden sollte. Je lebhafter das Interesse der in Rom ansässigen oder vorübergehend sich aufhaltenden Kunstfreunde und Gelehrten sich der neuen Anstalt zuwandte, desto stärker machte sich für diese das Bedürfniss geltend, sich nicht auf die Correspondenz als einziges Verkehrsmittel zu beschränken und bloss durch ihre gedruckten Arbeiten jener Theilnahme zu entsprechen, sondern auch dem persönlichen Verkehr einen festen Mittelpunkt darzubieten. So wurden denn im December 1831 neben den Sitzungen der Direction auch wöchentliche öffentliche Zusammenkünfte eingerichtet, welche alle Freitag in den Nachmittagsstunden stattfanden. Sammler und Kunstfreunde legten hier Proben ihrer Schätze vor und die Direction theilte aus ihren Mappen, welche sich allmählich mit Zeichnungen füllten, interessante Monumente und aus ihrer Correspondenz wichtige Thatsachen mit. Darüber kam es dann zu einem lebhaften mündlichen Austausch, an welchem Angehörige aller Nationen sich betheiligten. In dem Winter 1831—1832 allein wurden nicht weniger als achthundert antike Denkmäler im Original oder in Zeichnungen zur Stelle gebracht. Das Bullettino berichtete regelmässig über diese Zusammenkünfte, anfangs ausführlicher, später in mehr summarischer Form, da ja die wichtigsten der dort vorgelegten Denkmäler in den Werken des Instituts eingehender besprochen werden sollten. Im Allgemeinen waren die «Adunanzen» auf die Wintermonate beschränkt, und bald bildete sich der Brauch aus, sie am Winckelmannstage (9 December) zu beginnen und mit der Festsitzung am Gründungstage Roms und des Instituts (21 April) zu schliessen, wo dann der Generalsekretär seinen, in den ersten Jahren meistens von Gerhard verfassten, Jahresbericht verlas. Jedoch haben mehrfach auch in den Sommermonaten dergleichen Versammlungen stattgefunden, und nur im Herbste brachte die allgemeine römische Ferienzeit auch in die Thätigkeit des Instituts eine regelmässige Unterbrechung. Wie sehr diese öffentlichen Sitzungen dazu beigetragen haben das Interesse für das Institut auch in weiteren Kreisen zu beleben oder wach zu erhalten, weiss jeder wissenschaftliche Besucher Roms.“
Im Gegensatz zur Winckelmann-Adunanz, bei der ein Festvortrag jeweils auf Deutsch gehalten wird – ergänzt durch einleitende Worte zu Johann Joachim Winckelmann – und im Nachgang die Überreichung von Urkunden an die neugewählten Korrespondierenden Mitglieder des Instituts, wird der Festvortrag an den Palilien jeweils von einer italienischen/einem italienischen Fachkollegin/-kollegen gehalten, ergänzt eingangs durch einen kurzen Bericht zu den Aktivitäten des Instituts im jeweils vorangegangenen Jahr. Die Grundstruktur der ersten Adunanzen wurde also im Prinzip bis heute beibehalten, auch wenn Themen und jeweils eingesetzte Medien als Spiegel unterschiedlicher zeitbedingter Forschungsansätze und Sehweisen einem historischen Wandel unterworfen waren und es weiterhin sind Originale, Gipsabgüsse und Zeichnungen werden heute nicht mehr herumgereicht, und die im 20. Jahrhundert übliche Diadoppelprojektion ist der Powerpoint-Präsentation gewichen.
Um die Frage nach dem Publikum umfassend zu beantworten, müsste ich in den seit 1833 geführten Büchern, in den die Teilnehmer*innen jeweils unterschrieben haben, nachschauen. Das ist jedoch derzeit aufgrund der momentanen Schließung unseres Hauses nicht möglich.
Gab es einige bemerkenswerte (originelle oder außergewöhnliche) Vortragende, Vortragsthemen oder Ereignisse, die Sie erwähnen wollen?
Die Palilien waren von Anfang an ein lebendiges Diskussionsforum für archäologische Neuentdeckungen, insbesondere in Italien. Es gab jedoch darüber hinaus immer wieder besondere Ereignisse, so die Feiern des 25ten, des 50sten, des 75sten, des 100sten, des 150sten, des 175sten und jüngst des 190sten Geburtstages des Instituts. Bei den letzten beiden „runden“ Geburtstagsfeiern kehrte das Institut jeweils an seinen Gründungsort auf den Kapitolshügel zurück.
Hat die Palilienadunanz seit Gründung des Instituts regelmäßig stattgefunden?
Auch diese Frage kann ich ohne einen Blick in die Bücher mit den Teilnehmer*innen nicht ohne weiteres beantworten. Ganz sicherlich jedoch haben sowohl der erste (1916-1924) als auch der zweite Weltkrieg (1944-1954) mit der jeweiligen Nachkriegszeit Zäsuren dargestellt.
Wie gehen Sie damit um, daß die Palilienadunanz in Rom dieses Jahr nicht wie gewohnt im April stattfinden wird?
Das ist einerseits bedauerlich, andererseits ist es aber auch selbstverständlich, dass sich das Institut in dieser schwierigen Zeit, in der sich unser Gastland Italien derzeit befindet, solidarisch zeigt und die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nach Kräften unterstützt. Wir sind alle sehr betroffen von dem Ausmaß des Virus‘ gerade in Italien, und wollen alles Erdenkliche beitragen, um einerseits den Kontakt zu unseren Freunden und Partnern aufrecht zu erhalten – hier helfen digitale Angebote und Formate wie dieses Interview, andererseits aber sowohl die Mitarbeiter*innen wie auch unsere vielen Gastwissenschaftler*innen und Nutzer*innen der Bibliothek bestmöglich zu schützen.
Haben Sie noch ein persönliches Statement/letztes Wort für unsere LeserInnen?
Wir werden die Pallien, sobald dies möglich ist, nachholen, dann mit allen Freunden und Partnern gemeinsam. Darauf freue nicht nur ich mich, darauf freuen sich alle am Germanico tätigen Kolleginnen und Kollegen.
Literaturhinweis: M. Unger, Durand’sche Preise. Archäologie zwischen Wissenschaft und Kunstmarkt im Rom der 1830er Jahre, in: in: A. Putz – A. Fronhöfer (Hrsg.), Kunstmarkt und Kunstbetrieb in Rom (1750–1850): Akteure und Handlungsorte (Berlin – New York 2019) 102 f.
190 Jahre DAI – Palilienadunanzen 2019: https://www.dainst.org/ergebnis/-/asset_publisher/NZrOgZ37QcYu/content/tanti-auguri-die-abteilung-rom-des-dai-feierte-ihren-190-geburtstag-auf-dem-romischen-kapitol