In der Verbotenen Stadt Peking gibt es einen Garten, den bis heute nur wenige Menschen betreten dürfen: den Garten des Kaisers Qianlong (1711-1799). Mit Bambus, Wasserläufen, gewundenen Pfaden und luftigen Pavillons auf ragenden Felsen holte sich der Kaiser eine Miniatur Südchinas in den trockenen Norden. Die Anmut dieser künstlichen Landschaft auf engstem Raum sollte Poeten anregen und ihm selbst als Refugium dienen, um sich ungestört den Künsten hingeben zu können. Die Bauaufnahme des Biluo-Pavillons (Pavillon der Grünen Muschel) zeigt die Einzigartigkeit seiner Architektur.
Vorwort
Auf Einladung des Palastmuseums unterzeichnete Frau Prof. Dr. Ulrike WULF-RHEIDT 2015 mit dem damaligen Direktor Herrn SHAN Jixiang eine Kooperationsvereinbarung über die gemeinsame Erforschung von Bauten des Palastes. Die Außenstelle Peking betreut die Kooperation und organisiert die Arbeiten verschiedener Teams. Im Rahmen dieser Kooperation entstand auch die Masterarbeit von Herrn ZHAO Shipan, betreut von Frau Prof. Dr. Thekla SCHULZ-BRIZE, an der Technischen Universität Berlin. ZHAO Shipan hat die Ergebnisse für Sie zusammengefasst:
Der Qianlong-Garten in der Verbotenen Stadt
von ZHAO Shipan
Der Garten wurde für Kaiser Qianlong zwischen 1771 und 1776 zusammen mit dem angrenzenden „Palast des Ruhevollen Alters“ für die Zeit nach seiner Abdankung errichtet. Auf einer Fläche von 6,4 ha zeigt er deutlicher als alle anderen Gärten des Palastes die Vorliebe des Kaisers für südchinesische Gartenbaukunst. Der Pavillon der Grünen Muschel (Biluo Ting, 碧螺亭) ist einer der Hauptbauwerke.
Der Biluo-Pavillon: Ein architektonischer Prototyp in der Verbotenen Stadt
Der Biluo-Pavillon weist nicht nur eine enge Verbindung zwischen Bautechnik und Symbolismus auf, sondern verkörpert auch die Lebensphilosophie und den spirituellen Drang des Qianlong-Kaisers.
Der Pavillon ist ein freistehender Holzbau auf einem künstlichen Felsen in der Mittelachse des Qianlong-Gartens. Er hat eine fast runde Grundform mit einem Durchmesser von circa 4,13 m und einer Höhe von 7,2 m. Er besteht aus drei Hauptteilen: einem Steinsockel, den Säulen und zwei kegelförmigen Dächern. Die Dächer wurden mit Dachziegeln unterschiedlicher Farben gedeckt.
Damit bietet der Pavillon einen überdachten Raum zum Verweilen. Pavillons sind charakteristisch für die chinesische Gartenarchitektur und üblicherweise an einem besonderen Standort in den Gärten errichtet. Sie entwickeln sich von gestalterischer Reduzierung bis zu einer hohen Harmonie mit anderen Elementen des Gartens. Vom Biluo-Pavillon aus können unterschiedliche Szenen im Garten betrachtet werden und der Pavillon ist in verschiedenen Perspektiven vom Garten aus zu sehen. Die Funktionalität des Pavillons wurde dabei angepasst und ermöglicht es den Besuchern, die Attraktion des Innenhofs zu bewundern.
Der Biluo-Pavillon wurde zwischen 1772 und 1775 in zwei Bauabschnitten gebaut. Basierend auf dem Schema eines Pavillons mit fünf Säulen nach der Monographie des Gartens Yuanye (chinesich 园冶) von Ji Cheng folgt der Biluo-Pavillon einer eigenen Bautypologie. Er wurde im Grundriss als eine Pflaumenblüte erbaut, weil in der chinesischen Kulturtradition eine Verbindung zwischen Pavillons mit fünf Säulen und Pflaumenblüten gesehen wird. Bestimmendes Motiv dieses Pavillons in der Malerei, Holzschnitzerei und Steingravur ist daher auch die Pflaumenblüte.
Auf einem künstlich errichteten Steinfelsen erhebt sich die überaus anspruchsvolle Holzkonstruktion und schwebt damit gleichsam über der Natur des Gartens. Dieses Ensemble symbolisiert die politische und seelische Sehnsucht des Kaisers.
Der Biluo-Pavillon ist nach einer chinesischen Kunsttradition gebaut worden, die sich im Laufe der Geschichte Chinas entwickelt hatte. Ursprünglich schufen die berühmten Gelehrten Landschaftsräume, um den Anforderungen der Politik zu entgehen. Die Kunst dieser Räume wurde in einer urbanen Umwelt durch Gartenanlagen gespiegelt. Durch die Anwendung der Elemente wie künstliche Felsen, vielfältige Pflanzen, abwechslungsreiche Wege und die feinen Architekturen einschließlich Kunstwerken, wurde das Verhältnis zwischen Natur und Kultur im Qianlong-Garten erklärt. Die Flucht in die Natur deutet eine romantische Hoffnung auf das ruhige Leben des Kaisers an.
Die Pflaumenblüte ist einer der Drei Freunde der kalten Jahreszeit. Bambus und Kiefer als immergrüne Pflanzen sind die anderen beiden. Der Pflaumenbaum blüht im Januar oder Februar zur Zeit des chinesischen Neujahrs und läutet die Ankunft des Frühlings ein. Die drei Pflanzen gelten zusammen als die Drei Freunde der kalten Jahreszeit und symbolisieren eine edle Persönlichkeit in der chinesischen Kultur.
Durch die Bauforschung und Archivrecherche wurden auch die Datierungen der Bauphasen des Pavillons erstmals fixiert. Obwohl der Pavillon nach der Fertigstellung mindestens fünfmal instandgesetzt wurde, ist der Großteil der Holzkonstruktion dem ersten Bauabschnitt zuzuordnen. Besonders bemerkenswert sind dabei die Dachziegel mit unterschiedlichen Maßen, Farben und Stempeln, die bei jeder Reparatur immer neu verlegt, dabei überwiegend wiederverwendet und teilweise erneuert wurden. Ein wichtiges Ergebnis der Bauforschung ist die Rekonstruktion des Verlegeplans der Dachziegel der ersten Bauphase des Pavillons.
Der Erhalt des Biluo-Pavillons ist wegen seiner städtebaulichen, künstlerischen, volkskundlichen und bautechnischen Bedeutung zweifellos ein vorrangiges Ziel in der Verbotenen Stadt. Zusammen mit dem ganzen Qianlong-Garten soll auch der Pavillon nach seiner Restaurierung im Jahr 2020 wieder für die Öffentlichkeit zugänglich werden.
Danksagung:
Für ihre engagierte Unterstützung der Bauaufnahme in Peking und die Betreuung der Arbeit danke ich Herrn ZHAO Peng, Frau Prof. Dr. Thekla SCHULZ-BRIZE und Herrn Dr.-Ing Dirk DORSEMAGEN, für die Organisation der Kooperation, die mein Projekt möglich machte, Frau Prof. Dr. Mayke WAGNER und Frau CHEN Xiaocheng.
Weitere Arbeiten des DAI in der Verbotenen Stadt:
eFB-DAI_2017-2_Wulf-Rheidt_u.a._Crystal_Palace
weiterführende Links:
https://bauforschung-denkmalpflege.de/das-fachgebiet/
oberste Abbildung: Biluo-Pavillon, Rekonstruktion der Innendecke (Foto: ZHAO S.P.)