Die Wanderausstellung „‘Ein gut Theil Eigenheit‘ – Lebenswege früher Archäologinnen“ startete am 17. November in der RGK
von Elsbeth Bösl, Doris Gutsmiedl-Schümann (beide Universität der Bundeswehr München) und Michaela Helmbrecht (freiberufliche Archäologin)
Frauen haben die Entwicklung der archäologischen Fächer entscheidend mitgeprägt. Sie wirkten seit dem späten 18. Jahrhundert als Altertumskundlerinnen und Archäologinnen – lange bevor das Frauenstudium an den Universitäten zugelassen und die Archäologie als akademisches Fach etabliert wurden. Doch folgt man den meisten populären Darstellungen, scheint die Geschichte der archäologischen Forschung allein von Männern geprägt worden zu sein. Archäologisch arbeitende Frauen früherer Zeiten werden kaum wahrgenommen. Manche von ihnen, wie etwa Sybille Mertens-Schaaffhausen (1797-1857), Johanna Mestorf (1828-1909) und Ida von Boxberg (1806-1893), waren zu ihrer Zeit jedoch hoch angesehen. Ihre Studien und Sammlungen wurden beachtet. Sie waren Teil der Wissenschaftsgemeinschaft.
Die Berliner Autodidaktin Julie Schlemm (1850-1944) beispielsweise schrieb 1908 im Alleingang das „Wörterbuch zur Vorgeschichte“, eine fast 700 Seiten lange und mit 2.000 Abbildungen versehene enzyklopädische Sammlung von Objekten und Funden v.a. aus der mitteleuropäischen Archäologie. Sie geriet jedoch ganz in Vergessenheit, weil sie nie eine offizielle Position an einer Universität oder in einem Museum innehatte. Anders als die Professoren ihrer Zeit konnte sie keine eigene Tradition von Forschungsansätzen aufbauen und akademischen Nachwuchs qualifizieren, der später die Erinnerung an sie wach hielt. Die mobile Ausstellung „Ein gut Theil Eigenheit – Lebenswege früher Archäologinnen“ folgt nun ihren Spuren und stellt sie zusammen mit acht anderen ausgewählten Frauen vor.
Die Ausstellung entstand im Projekt „AktArcha – Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: im Feld, im Labor, am Schreibtisch“. Es wird am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr von PD Dr. phil. Elsbeth Bösl und PD Dr. phil. Doris Gutsmiedl-Schümann MHEd durchführt. AktArcha erforscht die Biografien archäologischer Akteurinnen und ihre Beiträge zur Fachentwicklung vom späten 18. bis ins 21. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum und kombiniert dafür die Perspektiven und Methoden der archäologischen Genderforschung und der Wissenschaftsgeschichte mit den Möglichkeiten der Digital Humanities.
Doris Gutsmiedl-Schümann ist prähistorische Archäologin mit Forschungsschwerpunkten in der Frühmittelalterarchäologie, Gender Archaeology und Wissenschaftskommunikation, Elsbeth Bösl ist Wissenschafts- und Technikhistorikerin mit einem Schwerpunkt in der Geschlechtergeschichte und Disability History. Gemeinsam arbeiten sie daran, Frauen und ihre Forschungsleistungen in den deutschsprachigen Archäologien sichtbar zu machen. Ihr Projekt wird von der BMBF-Förderlinie „Strategien zur Durchsetzung von Chancengerechtigkeit für Frauen in Bildung – Innovative Frauen im Fokus“ finanziert. Das BMBF beabsichtigt mit dieser Förderlinie, die Sichtbarkeit von Frauen, ihren Leistungen und ihres Potenzials für die Innovationskultur in Deutschland zu erhöhen und so eine geschlechtergerechte Teilhabe von Frauen in allen Wissenschaftsgebieten und Forschungszweigen, in der Wissenschaftskommunikation sowie in wissensgeleiteten gesellschaftlichen Diskursen voranzutreiben. Mädchen und junge Frauen sollen durch sichtbare Vorbilder dazu angeregt werden, sich ein Studium und eine anschließende Laufbahn in den genannten Bereichen zuzutrauen. Das Projekt AktArcha verfolgt einen historischen Zugang zum Thema der Förderlinie.
Historische Beispiele und Wissen über die Vergangenheit können helfen, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Strukturen oder Politiken zu mehr Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Würdigung beitragen können. Deshalb richtet sich die Ausstellung besonders an Studierende und junge Menschen und will ihnen mögliche Vorbilder aufzeigen und Impulse für ihre Berufswahl geben. Die vorgestellten Beispiele können zudem Führungspersonen Orientierungsmöglichkeiten aufzeigen, um die Arbeitswelt nicht nur in den Archäologien diverser und inklusiver zu gestalten.
Der Zugang des Projekts AktArcha zu seinem Forschungsgegenstand ist durchaus kritisch, schließlich sollen keine simplen Heldinnengeschichten erzählt werden, sondern ausdrücklich auch Scheitern, Fehler und Verfehlungen zur Sprache kommen. Gerade auch die Verstrickungen der Wissenschaftlerinnen in die Diktaturen des 20. Jahrhunderts werden deutlich.
Mehrere Hundert Biografien hat AktArcha bislang recherchiert: von Professorinnen und Hobbyarchäologinnen, Restauratorinnen und Museumsmitarbeiterinnen, Kustodinnen und Präparatorinnen, Lektorinnen und Bodendenkmalpflegerinnen und vielen mehr. Der Begriff der archäologischen Arbeit ist demnach weit gefasst, und bezieht sich nicht nur auf die in der öffentlichen Wahrnehmung oft in den Mittelpunkt gestellte Feldarchäologie.
Ergänzend zur Biographieforschung untersucht das AktArcha-Team Geschlecht als erkenntnisleitende Kategorie der Wissenschaftsgeschichte und als Forschungsgegenstand der Archäologien. Es geht darum herauszufinden, wie sich politische und kulturelle Rahmenbedingungen, fachliche und persönliche Netzwerke oder Entwicklungen in benachbarten Wissenschaften auf die Möglichkeiten und Wege ausgewirkt haben, die Frauen in den Archäologien offenstanden.
AktArcha vermittelt die Forschungsergebnisse auf vielfältige Weise. Ein wichtiges Element ist eine Wanderausstellung, die Dr. Michaela Helmbrecht (archäotext) erstellt und Tanja Jentsch (7Silben) gestaltet hat. Hier werden neun frühe Archäologinnen, ihre Arbeiten und Biographien näher vorgestellt. Digitales Zusatzmaterial und Audiofiles ergänzen die gedruckten Roll-ups. Eine digitale Version der Ausstellung in einer 3D-Umgebung folgt in Kürze.
Die Erkenntnisse zu den einzelnen Frauen, ihren Netzwerken und Beziehungen werden in das frei zugängliche, biografische Informationssystem Propylaeum Vitae eingetragen. Hier kooperiert AktArcha eng mit der Römisch-Germanischen Kommission des DAI sowie der Universitätsbibliothek Heidelberg und dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz.
Bereits an der Anbahnung des Projektes und der Antragstellung war die RGK, insbesondere Dr. Kerstin Hofmann, intensiv beteiligt. Bei den Recherchen und der Erstellung der Ausstellung arbeitet AktArcha eng mit der Abteilung Archiv und Bibliothek, mit Sandra Schröer MA und Dr. Gabriele Rasbach zusammen. Dieser Zusammenarbeit verdankt AktArcha einen hervorragenden Zugang zum Archiv und zur Bibliothek der RGK.
Nun hat die RGK das Projektteam eingeladen, die Ausstellung bis 16.12. in den Räumen an der Palmengartenstraße in Frankfurt am Main zu zeigen.
Sandra Schröer und Gabriele Rasbach (beide RGK) haben im Zuge der Ausstellung an der RGK ebenfalls eine Frauenbiographie recherchiert, die einen engen Bezug zur RGK hat: Maria Radnoti-Alföldi (1926-2022), ungarnstämmige deutsche Provinzialrömische Archäologin und Numismatikerin. Sie war das erste weibliche Kommissionsmitglied und wird als „Die Botschafterin“ in der Ausstellung vorgestellt.
Die Poster-Ausstellung kann bis zum 16. Dezember 2022 während den Öffnungszeiten der RGK nach Anmeldung unter ausstellung.rgk@dainst.de besucht werden.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!