Mit Sediment-DNA die Geschichte prähistorischer Siedlungen neu schreiben
von Knut Rassmann (ORCID: 0000-0002-2570-6099) und Kerstin P. Hofmann (ORCID: 0000-0003-4405-5751)
Durch die Analyse von in Sedimenten konserviertem Erbgut kann die Anwesenheit von Menschen, Tieren und Pflanzen an archäologischen Fundstätten nachgewiesen werden. So können mit archivierten und neu gewonnenen Bohrkernen und Bodenproben seit kurzem auch ganz neue Informationen zu den Bewohner:innen prähistorischer Siedlungen gewonnen werden. Aktuelle methodische Herausforderungen und die Entwicklung von Best-Practice-Leitfäden zur Probengewinnung waren Thema eines Workshops an der RGK.
Lange Zeit war nur wenig darüber bekannt, dass DNA über lange Zeiträume in Sedimenten überdauert und diese nicht nur in Höhlen, sondern z. B. auch in Freilandsiedlungen erhalten bleiben kann. Ausgehend von Bodenproben aus Ausgrabungen und Bohrungen im Rahmen eines DFG-Projektes zur frühbronzezeitlichen Siedlung bei Vráble (Slowakei) u. a. mit Beteiligung an den EU-Projekten COREX und GEODAP wurde vom Referat für Prospektions- und Grabungsmethodik und seinem Leiter, Dr. Knut Rassmann, in den letzten Jahren systematisch das Potential von Boden als Wissensarchiv sondiert. Lag der Fokus zunächst auf Phosphorwerten, die z. B. zur Modellierung von Bevölkerungsgrößen dienten, wurden in einem nächsten Schritt multichemische Analysen mit Untersuchungen von Großpflanzenresten, Pollen und Phytolithen kombiniert. In einer breit angelegten Pilotstudie mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig werden nun Bodenproben von verschiedenen neolithischen bis mittelalterlichen Siedlungen in Europa untersucht. Erste Erkenntnisse wurden vom 16.-18. August in der RGK im Rahmen des Workshop „Revolutionizing Soil Archives – Unveiling Hidden Stories through aDNA research on Copper und Bronze Age settlements in Stolniceni (Moldova) and Vráble Slovakia” zusammen mit der von Benjamin Vernot geleiteten Max Planck Research Group for Ancient Environmental Genomics und den Mitarbeiter:innen des Referats für Prospektions- und Grabungsmethodik der RGK diskutiert.
Zentral waren am Donnerstag, den 17. August 2023, dabei die Diskussion der neuen aDNA-Daten im Kontext der Siedlungsforschungsvorhaben zur Frühbronzezeit in der Südwestslowakei bei Vráble und zur Kupferzeit in Moldawien bei Stolniceni. Die Moderation der Veranstaltung übernahm der designierte Zweite Direktor der RGK, Lukas Werther. In seiner Einführung betonte er, wie wichtig es ist, dass Sedimente als archäologische Quelle angesehen und nach z. T. noch zu entwickelnden Kriterien beprobt und systematisch archiviert werden. Hätte man diese oft früher bei Ausgrabungen nur als Material, in dem archäologische Funde lagern und sich Befunde abzeichnen, angesehen und daher auch nicht archiviert, zeige sich mehr und mehr welch Analyse- und Aussage-Potential diese in sich bergen. Für die Diskussion von Forschungsmethodik, Zielen und Planung sowie Festlegung der zukünftigen Arbeiten war die Meeting-Begleitung von Kerstin P. Hofmann, der Ersten Direktorin RGK essentiell. Sie betonte, dass die neuen Methoden ganz neue Erkenntnisse für die Analyse von Siedlungen erlauben würden, da so nun die Akteure besser gefasst werden und hoffentlich bald auch oft nur postulierte Zusammenhänge von Siedlungen und Gräberfeldern sowie Verwandtschaftsbeziehungen und Siedlungsorganisation durch neue Daten kritisch hinterfragt werden könnten.
Von Seiten der MPI-Forschungsgruppe wurden vier Aspekte der aktuellen Sediment-aDNA-Forschung thematisiert: Methodische Grundlagen (Benjamin Vernot), aDNA historischer Fauna (Stepanie Dolenz), aDNA historischer Flora (Kevin Nota) und menschliche aDNA (Neill Cook). Trotz einiger Herausforderungen ist man sich nach den positiven Ergebnissen sicher, hier viele verschiedene Forschungsfragen neu analysieren zu können und gerade anhand der Siedlungen, den Orten der damals Lebenden, zukünftig viel mehr über Sozial- und Wirtschaftsorganisation aussagen zu können.
Von Seiten des Referats wurde zum einen der frühbronzezeitliche Fundplatz von Fidvar bei Vráble (Slowakei) von Roman Scholz und Knut Rassmann, zum anderen der ebenfalls dieses Jahr in einer Bohrkampagne untersuchte Tripillia-Cucuteni-Siedlungsplatz von Stolniceni (Rep. Moldau) und seine systematische Erforschung mit verschiedenen Prospektionsmethoden von Jessica Schmauderer, Hajo Höhler-Brockmann und Knut Rassmann vorgestellt. Insbesondere die Kombination und das Verschneiden verschiedener Methoden und eine holistische interdisziplinäre Erforschung von Siedlungsplätzen erwiesen sich wieder einmal als für die Forschung besonders fruchtbar, zugleich dienen die minimalinvasiven Maßnahmen aber auch dem Erhalt archäologischen Kulturerbes.
Zuvor fand am Mittwoch bereits eine Besichtigung des Labors und des Frankfurter Bodenarchivs der RGK statt. Dabei wurden erste praktische Fragen zur optimalen Archivierung, Dokumentation und Probenentnahme diskutiert. Diese für die erfolgreiche Anwendung der neuen Methoden zentralen Forschungspraktiken wurden dann am Freitag mit der Öffnung eines ersten Bohrkerns der Bohrkampagne 2023 in Fidvár bei Vráble fortgesetzt und dokumentiert. Auf Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse soll nun ein Leitfaden zur aDNA-Beprobung von Bohrkernen und Sedimentblöcken erstellt werden. Abschließend wurden die Arbeiten an einer ersten gemeinsamen Veröffentlichung und an einem geplanten Drittmittelvorhaben abgestimmt.
Die Entscheidung, eine Langzeitarchivierung von Bodenproben und Bohrkernen als Teil der Groundcheck-Initiative des Auswärtigen Amtes im Deutschen Archäologischen Instituts voranzutreiben, ermöglicht uns heute also bereits Teil zukunftsträchtiger Forschungen zu sein, über die Sie hier sicherlich bald mehr lesen werden können.