Der Boden als archäologisches Archiv: Ein Beitrag zum Weltbodentag am 5. Dezember

von Isabel A. Hohle und Melani Podgorelec

Die Internationale Bodenkundliche Union (IUSS) hat im Rahmen ihres 17. Weltkongresses, im August 2002 in Bangkok, den 5. Dezember zum Weltbodentag (World Soil Day) ernannt. Mit ihm soll ein jährliches Zeichen für die Bedeutung der natürlichen Ressource Boden gesetzt werden.“ (https://www.bvboden.de/aktuelles/weltbodentag)

Der Boden ist eine natürliche Ressource, dessen Bedeutung erfreulicherweise immer stärker in den Fokus verschiedener Wissenschaften rückt. Durch seine Archivfunktion ist Boden ein Informationsträger über vergangene Prozessabläufe und Umweltbedingungen, aber auch menschlicher Aktivitäten und somit  eine Ressource für Wissen.  Daher beschäftigen sich auch Archäolog*innen zunehmend damit ihn als Quelle und Archiv für ihre Forschungen nutzbar zu machen, ihn zu dokumentieren und als Kulturerbe zu erhalten. Insbesondere die Erforschung von Klimawandel und dem Faktor Mensch sind hier von Interesse bzw.  wird der Umgang des Menschen mit den daraus resultierenden Herausforderungen im Deutschen Archäologischen Institut (DAI) derzeit im Zuge der Groundcheck-Initiative untersucht und diskutiert (https://www.dainst.org/-/ground-check-cultural-heritage-and-climate-change?redirect=%2Fdai%2Fmeldungen und https://www.youtube.com/playlist?list=PLq4Pz4R7ts0VNR37nnAfTTiZqVmQ8mQiO ). Zum Thema Anthropozän führte die RGK 2019 z. B. eine Podiumsdiskussion auf der Frankfurter Buchmesse durch (Mensch – Ding – Welt: Ein langer Weg zum Anthropozän).

Was bei Ausgrabungen meist weggebaggert und weggeschaufelt wurde, wird inzwischen auf verschiedene Weisen beprobt und zum Teil sogar archiviert. Beispielsweise führen archäologische Landesämter in Deutschland das Anfertigen von Bodenproben für unterschiedlichste Untersuchungen bei ihren Richtlinien für Ausgrabungen auf. Auch an der RGK werden Bodenproben von verschiedenen Ausgrabungen und Bohrkampagnen inzwischen systematisch archiviert. Bodendenkmäler, die nicht gefährdet sind, lässt man geschützt im Boden ‑ dort werden sie am besten konserviert. Das Bohren als minimalinvasive Methode bietet hier Möglichkeiten, dennoch viele Informationen über archäologische Fundplätze zu gewinnen, wenn Ausgrabungen nicht möglich oder nicht nötig sind.

Die haben ordentlich Dreck am Stecken! Ein Beispiel für Forschungen an und mit Bodenproben an der RGK

Diese Redewendung stammt aus jenen Zeiten, als die Wege noch nicht befestigt gewesen sind und man dauernd dreckige Schuhe hatte. Bevor man ein Gebäude betrat, musste man sich also das Schuhwerk reinigen. Dies tat man mit einem sogenannten Stecken (zum Beispiel nachzuhören in der ARD Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/1000-antworten/woher-kommt-die-redewendung-dreck-am-stecken-haben/68812876). Im übertragenen Sinne bedeutet es auch, dass jemand etwas zu verbergen hat oder Schuld auf sich genommen hat ‑ denn Dreck stand und steht im deutlichen Gegensatz zu Reinheit und Unschuld.

Archäolog*innen halten sich natürlich ‑ nicht nur in diesen Zeiten ‑ an die gängigen Hygienerichtlinien. Und da auch wir gerade überwiegend im Home Office arbeiten, anstatt in der Welt auf Feldforschungen zu sein, bleiben unsere Schuhe sauber. Was nicht heißt, dass wir uns nicht dennoch mit „Dreck“ beschäftigen.

Wenn Wege nicht befestigt gewesen sind, wie schaffen es Archäolog*innen eigentlich dennoch diese nachzuweisen? Da gibt es mehrere Möglichkeiten und um eine geht es hier ganz konkret. Denn in den Sedimenten aus archäologischen Kontexten stecken (!) eine Fülle an (zunächst unsichtbaren) Informationen. Bei den Feldforschungen der RGK und dem dort ansässigen Referat für Prospektions- und Grabungsmethodik (RefPGM) werden minimal- und noninvasive Methoden zur Erforschung archäologischer Fundstellen immer wichtiger (siehe auch Blogeintrag Das Referat für Prospektions- und Grabungsmethodik der RGK stellt sich vor und bei der Radiosendung Quarks des WDR5 https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/quarks/hintergrund/audio-archaeologie-und-hightech-prospektion-macht-graben-gezielter-100.html). Anhand der generierten Daten aus unseren Magnetikmessungen, erfassen wir u.a. Siedlungsstrukturen, bestehend aus Gebäuden, Umfassungsgräben und Wallanlagen oder eben auch möglichen Wegen. Die Bestimmung und Interpretation der Anomalien in den Magnetikmessungen ist jedoch nicht immer so leicht und eindeutig. Daher führen wir an Strukturen, die uns besonders interessieren oder große Fragen aufwerfen, z.T. auch gezielte Bohrungen durch. Und aus diesen Bohrungen werden Proben gewonnen, die wir dann in unserem kleinen Labor in Frankfurt/Main untersuchen (Abb. 1). Zu diesen Untersuchungen gehören vor allem Messungen mit dem handgehaltenen Röntgenfluoreszenzanalysator (kurz: RFA), mit dem wir die chemische Elementzusammensetzung der einzelnen Bodenproben bestimmen. Dieses Gerät sieht aus wie eine große Pistole und kann mobil eingesetzt werden (z.B. direkt auf der Ausgrabung oder auch an archäologischen Artefakten). Wir nutzen sie überwiegend stationär mit einer Probenkammer und einer Heliumspülung, die es uns ermöglicht auch leichte Elemente, wie Phosphor, zu erfassen (Abb. 1).

Abbildung 1 links: Probenentnahme aus einem Bohrkern im Labor der RGK in Frankfurt. Rechts: Messung einer Bodenprobe mit der RFA. [Attribution: J. Kalmbach; Copyright: RGK]

Und damit zurück zu den Wegen: Werden diese über lange Zeiträume von Mensch und Tier begangen, kann dort einiges an Unrat zusammen kommen. Tiere verrichten ihr Geschäft, Abfall wird an den Rand gekehrt, das Eine oder Andere aus organischem Material bleibt schlichtweg dort liegen (oder man hat Dreck an seinen Schuhen stecken…). Wird so etwas über längere Zeit angesammelt, erhöhen sich dadurch u.a. auch die Phosphorwerte im Boden. Erfassen wir hohe Phosphorwerte in jenen Schichten, die wir aus Bohrungen oder Ausgrabungen an den Stellen gewonnen haben, wo wir Wege vermuten, haben wir deutliche Hinweise darauf, dass wir richtig liegen! Aber warum ist das überhaupt relevant? Nachweise und Rekonstruktionen von Wegen lassen ‑ neben anderen Merkmalen ‑ ein Verstehen der räumlichen Organisation einer Siedlung zu. Wege strukturieren Dörfer und Städte, sind Kommunikationsräume und geben Hinweise zu sozialen und wirtschaftlichen Netzwerken von Fundplätzen.

Abbildung 2 Dokumentation und Analyse eines Bohrkerns aus Gorzsa (Ungarn). Nach der Interpretation der Magnetometermessungen wurde gezielt eine Anomalie angebohrt, bei der es sich wahrscheinlich um die Überreste eines verbrannten Gebäudes handelt (Grafik: Melani Podgorelec, RGK).

Aus den Bohrungen und bodenchemischen Analysen lassen sich noch viel mehr Informationen herauslesen. 2019 haben wir neben Magnetikmessungen auch Bohrungen auf dem ungarischen Fundplatz Hódmezővásárhely-Gorzsa durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine Tell-Siedlung der Jungsteinzeit, also eine Siedlung, die vor etwa 7000 Jahren bestand und die heute noch in der Landschaft als Erhebung oder Hügel erkennbar ist, da man über Jahrzehnte und Jahrhunderte an der immer gleichen Stelle auf zerfallenen, zerstörten und einplanierten Gebäuden baute – und die Siedlungen immer weiter in die Höhe wuchs (über eine andere Tell Siedlung wurde bereits im letzten Blog Beitrag berichtet ELTE-RGK Test-Ausgrabung zur Grabenanlage einer spätneolithischen Tell-Siedlung in Ostungarn). Im Magnetikbild konnten wir eine Reihe von verbrannten Gebäuden identifizieren, von denen eines exemplarisch angebohrt wurde (Abb. 2). Die Kulturschichten des Bohrkerns enden in 2,70 m Tiefe, wobei beispielsweise die Phosphorwerte bereits ab 2,10 m Tiefe abnehmen. Schichten aus Brandlehm bestätigen die Überreste mindestens eines verbrannten Gebäudes. An dieser Stelle passen die Phosphorwerte mit den Calcium- und Kaliumwerten zusammen, was zusätzlich untermauert, dass es sich um ein verbranntes Haus handelt. Die Phosphorwerte weisen größtenteils erhöhte Werte von 3000 bis 6000 ppm in den archäologischen Schichten auf (B-Horizont) und zeugen vom deutlichen anthropogenen Einfluss. Die sehr hohen Werte bis zu 9000 ppm im oberen Bereich weisen jedoch auf gegenwärtige Einflüsse hin (A-Horizont). Die zwei Schichten aus Brandlehm könnten dabei, trotz Trennschicht zu einer Phase eines Hauses gehören, bei denen die Wände derart zusammengestürzt sind. Aufgrund der Trennschicht kann es sich jedoch auch um mehrere Phasen eines oder unterschiedlicher Häuser handeln, die zu verschiedenen Zeiten verbrannt und zusammengestürzt sind. Das wäre für eine Tell-Siedlung nicht ungewöhnlich und man hat an anderen Tells der Region teilweise sogar bis zu fünf übereinanderliegende Schichten mit verbrannten Gebäuden nachweisen können. Im Fall von Gorzsa werden zukünftige Analysen und Feldforschungen sowie ein Abgleich mit älteren Ausgrabungsdaten sicher Licht ins Dunkel bringen.

Analysen von Bodenproben werden in der RGK bereits seit vielen Jahren vorgenommen und die Daten liegen uns in zahlreichen umfangreichen Tabellen vor. Diese Tabellen zu sichten und auszuwerten ist übrigens eine Tätigkeit, die man sehr gut im Home Office machen kann. Momentan arbeiten die Mitarbeiter*innen des RefPGM von zu Hause an diesen Daten und beschäftigen sich auch mit Möglichkeiten der Verbesserung und Erweiterung der Beprobungsstrategien und Probenvorbereitung, den Möglichkeiten der Auswertung und, ebenfalls sehr zentral, mit der Archivierung der Daten und Proben, sodass in Zukunft auch weitere, vielleicht neue Analysen, an den Bodenproben aus Ausgrabungen und Bohrungen vorgenommen werden können.

Weitere Infos zum Thema z.B. im Grabungstechniker-Rundbrief Ausgabe 16/2020:

https://feldarchaeologie.de/wordpress/wp-content/uploads/2020/01/Publ_News_16s.pdf

 

 

Und was sonst?

Wir können noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele nennen, welche archäologisch relevanten Informationen aus Bodenproben gewonnen werden können.

Eine Sensation war es vor wenigen Jahren, als es Wissenschaftler*innen des Max-Planck Instituts für Evolutionäre Anthropologie gelang aus Höhlensedimenten alte DNA von verschiedenen Säugetieren zu extrahieren. Darunter tatsächlich auch DNA von Neandertalern. In der Denisova Höhle in Russland gelang es zudem DNA des erst seit einigen Jahren bekannten Denisova Menschen nachzuweisen, Nachzulesen ist das Ganze zum Beispiel hier:

https://www.mpg.de/11247830/dna-cave-sediments

https://www.nature.com/news/ancient-human-genomes-plucked-from-cave-dirt-1.21910

Auch Kolleg*innen der RGK verfolgen mit dem MPI in Leipzig ein kleines Pilotprojekt.

Vor zwei Jahren titelte das Smithsonian Institute „How the Remnants of Human Poop Could Help Archaeologists Study Ancient Populations” (https://www.smithsonianmag.com/science-nature/remnants-human-poop-help-archaeologists-study-ancient-populations-180970337/) und bezog sich damit auf einen Artikel, der im Journal of Archaeological Science im Mai 2018 von A. J. White und Kolleg*innen erschienen ist. Vereinfacht gesagt, konnte man anhand menschlicher Exkremente in Bodenproben Veränderungen in Populationsgrößen in Cahokia (Illinois) ableiten ‑ die größte prä-kolumbianische Siedlung auf dem Gebiet der heutigen USA. Auch in anderen archäologischen Projekten gelang es anhand menschlicher oder tierischer Fäkalreste in Bodenproben, Aussagen zur Besiedlungsintensität von Fundplätzen zu treffen.

Mikrobiologische Analysen, mit denen zum Beispiel der Nachweis von Bakterien, Pilzen und weiteren Mikroorganismen gelingen kann, erlauben wiederum mitunter Aussagen zu Krankheiten und bestimmten menschlichen Aktivitäten. Bereits eine lange Forschungstradition hat  die Archäobotanik, die aus Bodenproben anhand von Pollenanalysen, Makrorestanalysen (z.B. erhaltene Samen und Früchte) oder sogenannten Phytolithen (mikroskopisch kleine Strukturen aus Kieselsäure, die in einigen Pflanzengeweben vorkommen und lange im Boden erhalten bleiben können) Aussagen zu Ernährung, Landschaft und Umwelt und Klima trifft. Auch am DAI werden z.B. am Naturwissenschaftlichen Referat in Berlin solche Untersuchungen durchgeführt (https://www.dainst.org/standort/-/organization-display/ZI9STUj61zKB/18594).

Wir behalten die Entwicklungen im Bereich naturwissenschaftlicher Analysemöglichkeiten an und mit Bodenproben im Auge. Was bereits jetzt klar ist: das Potential von Bodenproben zur Erforschung der Menschheitsgeschichte ist nicht zu unterschätzen. Im Gegenteil, die Forschungen der letzten Jahre lassen vermuten, dass sich bereits bekannte Methoden weiter entwickeln werden und neue Techniken zur Extrahierung wissenschaftlicher Informationen aus Bodenproben entstehen.

Umso wichtiger erscheint es uns daher, unsere seit einigen Jahren angewandte Praxis der Archivierung von Bohrkernen und Bodenproben weiter auszubauen und zu professionalisieren. Für die Zukunft stellen wir uns daher ein Magazin vor, in dem unter den besten Bedingungen Bohrkerne und Bodenproben gelagert werden können, um diese wichtigen Archive auch für künftige Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. Wir sind daher im regen Austausch mit verschiedenen Wissenschaftler*innen u.a. an Geowissenschaftlichen Instituten und Forschungseinrichtungen.

Abbildung 3 Unscheinbare Schätze: Das derzeitige Probenarchiv an der RGK in Frankfurt (Fotos: I. Hohle, RGK)

Die archäologischen Aspekte des Bodens machen vielleicht nur einen kleinen Teil seiner Bedeutung aus und ihm sollte vor allem als nicht unendliche natürliche Ressource mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Archäolog*innen buddeln die Erde jedenfalls schon längst nicht mehr gedankenlos weg und das Potential des Bodens als archäologische Quelle zur Menschheitsgeschichte wird immer deutlicher.

In diesem Sinne:

Happy World Soil Day!

PS: Die Arbeiten des Probenarchivs der RGK sind eingebunden in die Groundcheck Initiative des DAI, die ebenfalls ein eigenes Blog hat https://www.dainst.blog/groundcheck/.