Mit Zahlenmagie auf den Spuren des Kulturwandels in Nordafrika

Ein Beitrag von Helen Neutzler

Archäologen sind nicht ständig auf der Suche nach dem nächsten großen Schatz, sie sitzen auch nicht immer mit dem Pinsel in der Hand im Sand. Auf vielfältige Weisen versuchen sie unermüdlich neues Wissen über die kulturelle Entwicklung der Menschheit zu erlangen und zu bewahren. Manchmal sogar ohne ein einziges Sandkorn zu bewegen.

Archäologisches Puzzlespiel: Architektonische Elemente eines römischen Gebäudes in Abbir Cella, Tunesien (Foto: Ralf Bockmann, DAI)

Welch innovative Wege sie dabei bisweilen beschreiten, zeigt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit des DAI mit Mathematiker:innen des Zuse-Instituts Berlin (ZIB). Am Beispiel der Romanisierung Nordafrikas möchten die Forschenden ermitteln, inwiefern vielschichtige kulturelle Entwicklungen der Menschheitsgeschichte mit Hilfe von daten- und netzwerkbasierten Ansätzen analysier- und darstellbar sind.

Eine fremde Präsenz in Nordafrika
Als die Römer 146 v. Chr. Kathago im heutigen Tunesien eroberten, endete die bis dahin andauernde phönizisch-punische Vorherrschaft in Nordafrika. Der neue Einfluss der römischen Besatzer, die ihr Reich in den folgenden Jahrhunderten kontinuierlich immer weiter ausbauten, resultierte ohne Zweifel in zahlreichen kulturellen Umbrüchen. Doch wie lässt sich ein schleichender Kulturwandel, der noch dazu vor etwa 2.000 Jahren in einem aufgrund seiner Größe nur schwer zu überblickendem Gebiet stattgefunden hat, überhaupt greifbar machen?
Zur Beantwortung dieser Frage untersuchen die Forschenden im Rahmen des 2019 angelaufenen Projekts „Data-driven Modeling of the Romanization Process in Northern Africa“ eine Vielzahl von archäologischen Datensätzen aus der betreffenden Region mit mathematischen Analysewerkzeugen, um Informationen schneller zu verknüpfen und statistisch vervollständigen zu können. Erste Ergebnisse liegen nun vor und konzentrieren sich auf Entwicklungen der Siedlungsstruktur und Religion.

Ausbreitung des römischen Reiches um 146 v. Chr. und 114 n. Chr. (Karte: F. Schweigart, DAI)



Vom Status von Städten und neuen Göttern
Das römische Städterecht definierte verschiedene Stadttypen hierarchisch über ihre administrative Struktur. Ihr Vorkommen in Nordafrika lässt sich statistisch untersuchen. Direkt nach der Eroberung Karthagos wurden zunächst hauptsächlich Städte gegründet, die halbautonome Verwaltungseinheiten darstellten. Städte mit höherem Status, die ihre Bewohner teils sogar mit vollem römischem Bürgerrecht ausstatteten, kamen erst später in hoher Zahl auf und zeigen deutlich die zunehmende Integration Nordafrikas in das römische Reich.
Im Bereich der Religion wurden punische Gottheiten zunehmend durch römische abgelöst oder in die römische Götterwelt integriert. Diese Entwicklung äußert sich in der schrittweisen Verbreitung von römischen Tempeln nach Osten, die mit geostatistischen Methoden ausgewertet und visualisiert werden kann.

Schrittweise Ausbreitung von römischen Tempeln in Nordafrika [Attribution: F. Schweigart ; Copyright: DAI]

In Zukunft sollen noch weitere Werkzeuge solcher statistischer und geostatistischer Auswertungsmöglichkeiten erschlossen und genutzt werden, um die Romanisierung Nordafrikas mit Hilfe der Kraft der Zahlen besser analysierbar zu machen. So können beispielsweise Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren untersucht, soziale Netzwerke visualisiert oder Lücken im bisher bekannten römischen Straßennetz durch die Vereinigung von topographischen und archäologischen Methoden gefüllt werden. Weitere spannende Ergebnisse zur Romanisierung Nordafrikas sind also zu erwarten.

Projektseite: https://www.zib.de/projects/data-driven-modeling-romanization-process-northern-africa

Der Beitrag von Helen Neutzler entstand im Rahmen des Fernpraktikums zur Wissenschaftskommunikation am DAI 2021.

LINK zum e-Forschungsbericht: https://publications.dainst.org/journals/index.php/efb/article/view/3606

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