Diese Ausstellung ist Erna Eckstein gewidmet, der Ehefrau Albert Ecksteins, der im Rahmen Atatürks Universitätsreform im Jahr 1935 nach Ankara berufen wurde.
Vieles wurde über sein Wirken geschrieben, während Erna Eckstein weitgehend im Schatten blieb. Mit dieser Ausstellung wollen wir ein wenig den Staub wegblasen, der sich über die Geschichte dieser Frau gelegt hat.
Gezeigt werden Fotos und Dias, die die Ecksteins während ihrer Türkeiaufenthalte aufgenommen haben. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Bildern, mit denen Erna Eckstein ihr Berufsleben und ihre Reisen in der Türkei dokumentiert hat. Diese Bilder, die bis heute noch nicht öffentlich gezeigt wurden, bieten uns einen subjektiven Blick auf die Türkei der späten 1950er Jahre. Die Aufnahmen werfen nicht nur Schlaglichter auf das Leben einer selbstbewussten Frau, sondern wiederspiegeln auch ein Stück deutsch-türkischer Zusammenarbeit.
Erna Eckstein wurde 1895 geboren. Sie war eine der ersten Studentinnen, die in Deutschland eine pädiatrische Ausbildung erhielten, wurde in den 1920er Jahren Chefärztin der Auguste-Victoria-Kinderklinik in Düsseldorf, musste aber den Beruf nach der Geburt des ersten Kindes wieder aufgeben.
Auch ihr Ehemann Albert Eckstein war Kinderarzt. Da beide aus jüdischen Familien stammten, waren sie ab 1933 zunehmenden Repressalien ausgesetzt und beschlossen 1935 ins Exil zu gehen. Nachdem Albert Eckstein Stellenangebote aus England und den Vereinigten Staaten abgelehnt hatte, folgten sie einer Einladung in die Türkei.
Im Jahr 1933 hatte Atatürk eine umfassende Reform des Landes in Gang gesetzt und dafür mehr als 1000 Wissenschaftler, Ingenieure, Verwaltungsfachleute, Künstler und Architekten angeworben, die mehrheitlich wie die Ecksteins Deutschland verlassen mussten. Mit ihrer Arbeit hatten sie einen maßgeblichen Anteil am Aufbau eines modernen Bildungs- und Gesundheitssystems, einer Verwaltung und an der Planung neuer Städte in der Türkei. Während ihre Heimat auf einen Krieg zusteuerte, der zum Zusammenbruch Deutschlands führen würde, waren sie in der Türkei Teil einer umfassenden sozialen und kulturellen Revolution.
Albert Eckstein war für den Aufbau der Pädiatrie zuständig. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums führte er mehrere Forschungsreisen durch, die in 19 Provinzen und rund 60 anatolische Dörfer führten. Dabei unterstützte ihn Erna Eckstein nicht nur logistisch, sondern auch fachlich. In den Dörfern dokumentierten sie den Gesundheitszustand der Mütter und Kinder, ihre Lebensbedingungen und führten Impfungen durch.
Diese Pionierarbeiten auf dem Gebiet der türkischen Pädiatrie müssen als Gemeinschaftswerk der Ecksteins gelten. Mit großer Offenheit nahmen sie Anteil am ländlichen Leben und überall öffneten sich ihnen die Türen der Häuser. Sie unternahmen zum Teil abenteuerliche Expeditionen und dokumentierten mit der 35-mm-Kamera die Menschen und Landschaften genauso wie archäologische Monumente und Architektur. Pioniere waren sie als begeisterte Schwimmer und Skifahrer selbst in ihrer Freizeit – Aktivitäten, die in der damaligen Türkei noch weitgehend ungewöhnlich waren.
In Ankara führten die Ecksteins ein offenes Haus, in dem nicht nur die Gemeinschaft der Flüchtlinge, sondern auch türkische Freunde und Kollegen verkehrten. Die 15 Jahre im türkischen Exil beschrieb Erna Eckstein später als die schönsten ihres Lebens.
Ein wichtiges Vorhaben Albert Ecksteins war die Einrichtung eines zentralen Kinderkrankenhauses in Ankara. Als er im Jahr 1950 einen Ruf an die Universität Hamburg erhielt, steckte dieses Vorhaben gerade in den Anfängen. Noch im selben Jahr verstarb Albert Eckstein völlig unvorhergesehen an einem allergischen Schock. Für Erna Eckstein bedeutete der schmerzliche Verlust zugleich einen beruflichen Neuanfang, der es schließlich ermöglichte, das schon aufgegebene Vorhaben zu vollenden.
Als die Ecksteins 1935 Deutschland verlassen mussten, kamen sie per Zug in Istanbul Sirkeci an, setzten mit dem Schiff nach Haydarpaşa über und bestiegen den Abendzug nach Ankara. Von der Türkei hatten sie damals kaum eine Vorstellung. Erna Ecksteins Kusine Ilse war aber Krankenschwester in der Istanbuler Frauenklinik und hatte den Ecksteins geschrieben: Entweder liebe man die Türkei und ihre Landschaft auf den ersten Blick, oder man hasse sie. Als Erna Eckstein am nächsten Morgen im Zug aufwachte und erstmals „die Weite der Landschaft sah, durch nichts eingeengt, das Felsgestein in Unmassen Farben glänzend, die Formen der Berge“ war sie begeistert.
Ein persönlicher Eindruck der Ankunft in Ankara hat sich in einem Brief Erna Ecksteins erhalten: die Söhne Herbert und Peter wurden gleich am ersten Tag nach der Ankunft losgeschickt, um Einkäufe zu machen: Ich gab ihnen eine Liste und sagte: „Du zeigst einfach auf die Dinge, die du willst und gibst dem Bakal dann das Portmonnaie“ mit dem Erfolg, dass Herbert nach vier Wochen schon sehr gut Türkisch sprach.
Nach 15 Jahren verließen die Ecksteins Ankara: „Da Schumi [Albert Eckstein] mit der Zeit sämtliche Kinder Ankaras behandelte, war unser Bekanntenkreis unvorstellbar groß, und wo immer wir hingingen, kamen Kinder aus den Gärten gelaufen, um Schumi die Hand zu küssen. […] Als wir Ankara verließen, fanden sich Hunderte von Türken, viele mit ihren Kindern oder Säuglingen am Bahnhof ein, um uns noch einmal zuzuwinken. Wie später die Zeitung berichtet, war es einer der größten ›Bahnhöfe‹, die Ankara erlebt hat.“
1956, sechs Jahre nachdem sie die Türkei verlassen hatte und nach dem Tod ihres Ehemanns kam Erna Eckstein erneut nach Ankara. Wie Albert Eckstein während des ersten Aufenthalts dokumentierte sie ihr Leben in der Türkei mit der Kleinbildkamera. Gemeinsam mit ihrem Sohn Klaus erreichte sie die Türkei mit dem Auto und beschreibt in einem Brief den Grenzübertritt:
„Großen Zeitverlust erlitten wir an der türkischen Grenze, der eine Beamte wollte gleich ein Rezept für sein Kind haben, als er meinen Namen las, der andere hatte meinen Mann von Ankara her gekannt und rief die anderen Beamten hinzu, um ihnen seine Erinnerungen zu erzählen. Wir hatten sofort das Gefühl zu Hause unter alten Freunden zu sein.“
Dieses Mal kam Erna Eckstein in die Türkei, um die einst begonnene Arbeit zu beenden.
In den 1950er Jahren bittet Ihsan Dogramaci, der als Assistenzarzt mit Albert Eckstein zusammengearbeitet hatte Erna Eckstein um Hilfe bei der Einrichtung und Inbetriebnahme des Hacettepe Kinderkrankenhauses. Nachdem Erna Eckstein die Arbeiten zunächst von Deutschland und England aus unterstützte, nahm sie 1956 die Einladung an, nach Ankara zu kommen. Ein neues Leben als Bauleiterin, Organisatorin und Kliniksmanagerin begann. Unter ihrer Anleitung wurde das Bauwerk fertiggestellt, die Stationen, Labore und technischen Räume – insgesamt 400 Zimmer – eingerichtet und eine Hebammenschule eröffnet. Da es an gelerntem Personal mangelte, warb Erna Eckstein Krankenschwestern in Deutschland an, die für einige Jahre nach Ankara kamen. Unterstützt wurde sie zunächst von ihrem jüngsten Sohn Klaus, der ihr als Dolmetscher diente. Später kam ihr Sohn Herbert für drei Jahre als Leiter der kinderchirurgischen Abteilung nach Ankara, der sich bereits einen Namen als Kinderarzt in London gemacht hatte.
Die Einladung Erna Ecksteins zeigt, dass sie sich auch ohne Anstellung in den Jahren der Emigration einen Namen als Kinderärztin gemacht hatte und aktiv am beruflichen Leben ihres Mannes teilnahm – etwa bei den improvisierten Feld-Polikliniken und Impfkampagnen auf den Forschungsreisen in den späten 1930er Jahren. Wie solche Polikliniken abliefen, beschreibt Erna Eckstien in einem Reisetagebuch: „Sobald wir in einem Dorf ankamen, erschien der Muhtar. Schumi [Albert] machte ihm klar, was wir wollten und stets wurde wir mit unvorstellbarer Herzlichkeit aufgenommen, denn das Glück und die Ehre, dass ein Arzt zu ihnen ins Dorf kam, war ihnen noch nie passiert. […] Dann trafen wir auf dem Dorfplatz sämtliche Kinder und untersuchten sie […]. Stets bekamen wir Obst angeboten. […] War es ein größeres Dorf, wo wir länger arbeiteten, so bekamen wir stets eine Mahlzeit angeboten.“
Alle Bemühungen um die Fertigstellung des Krankenhauses müssen Erna Eckstein immer wieder an die gemeinsamen Vorarbeiten erinnert haben, die sie mit ihrem Mann geleistet hatte. In dem gleichen Brief von 1957 schreibt sie: „Meine Tätigkeit ist außerordentlich vielseitig und macht mir jetzt riesige Freude. Trotz aller Arbeit fühle ich mich so jung wie seit Jahren nicht.“
In der nach Albert Eckstein benannten Abteilung des Krankenhauses sollte eine heute verschollene Büste aufgestellt werden. Als diese Erna Eckstein sah, schrieb sie: „Vor kurzem wurde Schumis [Alberts] Büste, die in der Eingangshalle aufgestellt werden soll, von einem Stambuler Bildhauer fertiggestellt. Sie ist zwar nicht sehr ähnlich, aber als Büste recht gut.“
Die Eröffnung des Kinderkrankenhauses fand zwar schon am 8. Juli 1958 statt, Erna Eckstein arbeitete aber noch weitere fünf Jahre für die Leitung und Verbesserung des Krankenhauses. Ihre Eröffnungsrede war denkbar kurz: „Wir eröffnen heute den letzten Flügel unseres Krankenhauses, der nach meinem geliebten Mann Albert Eckstein benannt ist. Da er nicht mehr mit uns ist, möchte ich sagen, wie stolz und glücklich er darüber wäre, das Krankenhaus zu sehen, an dessen Spitze sein bester Assistent und Schüler İhsan Doğramacı steht. Der Geist Ecksteins wird mit Ihnen in diesem Krankenhaus sein, in das die türkischen Eltern voller Vertrauen ihre Kinder bringen und hier Hilfe finden sollen. Und in diesem Vertrauen eröffne ich den Albert-Eckstein-Flügel.“
Entsprechend der überlieferten Dokumente und der Notizen auf den Rähmchen ihrer Dias wissen wir, dass Erna Eckstein nach dem Exil von 1956 bis 1963, 1980 und 1986 erneut in die Türkei kam.
Sie kannte das Land sehr gut von den vielen Reisen, die sie zusammen mit ihrem Mann gemacht hatte und sie suchte zusammen mit Freunden und Verwandten zahlreiche Orte wieder auf, die sie bereits mit ihm gesehen hatte.
Die bei diesen Besuchen entstandenen Fotos sind jenen ihres Mannes aus den 1930er und 40er Jahren überraschend ähnlich: Sie wanderte durch die gleichen Orte und richtete ihren Blick auf dieselben Dinge: Details des dörflichen Lebens, archäologische Stätten, historische Monumente, Moscheen, Störche, Bräute und vor allem die Porträts zahlreicher Menschen waren die Sujets, die Albert und Erna gleichermaßen interessierten.
Wir wissen nicht, was sie dachte, als sie all diese Aufnahmen machte, dieses Mal allein hinter dem Sucher der Kamera. Vielleicht den Satz, den sie später mal in einem Interview äußerte: „Irgendwie bin ich überall zu Haus.“ Oder vielleicht: „Ich bin zurück!“ Wir wissen es nicht.
Erna Eckstein starb 1998 im Alter von 104 Jahren in Cambridge.
P. Johannsen, Erna Eckstein Schlossmann „Eigentlich bin ich nirgendwo zu Hause“, Jüdische Memoiren 17 (Berlin 2012)
Bürgel – K. Reiter, Wissenschaftsmigration im Nationalsozialismus. Der Kinderarzt Albert Eckstein und die Gesundheitsfürsorge in der Türkei (Düsseldorf 2005)
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf, Universitätsarchiv, Bestand 7/10
DAI Istanbul, Fotothek
B. Dogramaci, Fotografieren und Forschen. Wissenschaftliche Expeditionen mit der Kamera im türkischen Exil nach 1933 (Marburg 2013)
Impressum:
Konzeption und Inhalt: Berna Güler, Ulrich Mania
Technische Realisierung: Engin Dikulak
Fotoarchiv des DAI Istanbul
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